Champignonsubstrate ganz ohne Mist

Moderatoren: Mycelio, leuchtpilz, davidson30

Antworten
Benutzeravatar
Mycelio
Site Admin
Beiträge: 3267
Registriert: Donnerstag, 27. September 2007 04:42
Wohnort: Berlin-Friedrichshain

Champignonsubstrate ganz ohne Mist

Beitrag von Mycelio » Samstag, 15. Juli 2023 23:49

Hallo.
Im Shroomery-Forum hat neulich jemand auf eine ältere Veröffentlichung hingewiesen, die ein Substratrezept für Kulturchampignons beschreibt, welches gänzlich ohne Mist auskommt und keine Kompostierung erfordert.

Das ist nicht komplett neu. Schon 1960 wurde am Max-Planck-Institut für Kulturpflanzenzüchtung in Hamburg von Otto Till das nach ihm benannte Substrat entwickelt.
120 kg Stroh (40,0%)
50 kg Torf (16,7%)

50 kg Luzernemehl (16,7%)
15 kg Baumwollsaatmehl (5,0%)
15 kg Sojamehl (5,0%)

50 kg Kalk (16,7%)
=========================
300 kg trockene Bestandteile
700 kg Wasser
=========================
1000 kg
Das wird bloß zusammengemischt, sterilisiert, nach dem Abkühlen steril beimpft und bringt akzeptable Erträge, hat sich aber im Champignonanbau nie durchgesetzt. Tonnenweise Substrat zu sterilisieren und dann in offenen Kisten wochenlang steril zu halten ist halt nicht wirklich praktikabel.
Im kleinen Maßstab, z.B. in einem Filterbeutel würde das schon eher Sinn machen, wobei man für das Baumwollsaatmehl einen gleichwertigen Ersatz finden müsste.

Nun zurück zu der eingangs erwähnten Veröffentlichung von 2001:
"Adapting substrate formulas used for shiitake for production of brown Agaricus bisporus",
Jose E. Sanchez, Daniel J. Royse,
Bioresource Technology 77 (2001), 65-69
https://www.fungifun.org/docs/mushrooms ... sporus.pdf
Da wurde Holzsubstrat für den Shiitakeanbau so modifiziert, dass es sich für Zuchtchampignons eignet, mit folgendem Ergebnis:
Eichensägemehl (28%)
Torf (8%)

Hirse (29%)
Weizenkleie (9%)
Roggen (8%)
Alfalfamehl (4%)
Sojamehl (4%)

Kalk (10%)
===========================
48 bis 55% Substratfeuchtigkeit
Die Autoren berichten sogar von recht guten Ernten bis zu 77,1%BE, was bei insgesamt 54% nährstoffreichen Zusätzen vielleicht kein Wunder ist.
Natürlich steckt man da mehr hochwertige Nahrungsmittel rein, als man hinterher raus bekommt, aber für alle, die mal den Zuchtchampignon oder eine andere rötende Art wie den Stadtchampignon ausprobieren möchten und keinen Zugang zu halbwegs brauchbarem Pferdemist haben oder nicht damit hantieren möchten, ist es eine echte Alternative.

Sehr interessant finde ich, dass es mit Eichensägemehl gut funktioniert und dass die Erntemenge auf ca. 2/3 sinkt, wenn man stattdessen Weizenstroh verwendet. Ich hatte es bisher immer so verstanden, dass bei der herkömmlichen Kompostierung gewisse Bestandteile im Stroh (Zellulose, Hemizellulose, Lignin) für das Myzel leichter zugänglich gemacht werden, aber wenn es mit unkompostiertem Sägemehl gut klappt, bedeutet es wohl, dass hauptsächlich irgendwelche Hemmstoffe im Stroh abgebaut werden müssen.

Nachtrag:
In dem PDF ist davon die Rede, dass das Substrat für 20 Minuten auf 110°C erhitzt wird. Da es nur halb so schnell besiedelt wird wie herkömmlicher Champignonkompost und nicht durch Mikroben vor Kontis geschützt wird, halte ich das für einen Schreibfehler und denke, dass es 120 Minuten und 120°C sein sollten. Eine Seite weiter in Tabelle 3 muss statt "Basal ingredients (minus type)" "Basal ingredients (minus rye)" gemeint sein, damit es Sinn ergibt.
Antworten

Zurück zu „Champignons“